Wenn im Moment über Social Media geredet/berichtet wird, überwiegt bei mir subjektiv der Eindruck, dass gerne das Negative hervorgehoben wird. Also: Thema Datenkrake, Datenschutz, Privatsphäre, Stalking, Zumkinderschänderverleumdung, Jugendlichesteigeninfremdepoolseinflashmobs und so weiter. Aber das mit dem Negativ Berichten ist ja immer schon dankbarer gewesen, Quote und so.
Ich möchte an dieser Stelle ein paar Anekdoten ausgraben und beschreiben, wie ich diese Social Media Sache sehe und nutze.
Am aktivsten benutze ich derzeit Facebook und Twitter. Für mich unterscheidet die beiden Netzwerke, dass sich Facebook mehr um wirkliche Bekanntschaften dreht, während mein Twitter-Netzwerk eher themenbezogen gewachsen ist. Da folge ich auch Leuten, die ich nicht unbedingt kenne, bei denen mich aber interessiert, womit sie sich beschäftigen. Dafür werfe ich auf Twitter auch eher jemand wieder raus, wenn mich nicht mehr interessert, was derjenige schreibt.
Twitter zum Beispiel verdanke ich unter anderem irgendwie meinen jetzigen Job. Der entscheidende Hinweis, dass diese Firma, bei der ich jetzt arbeite, die richtige für mich sein könnte, kam über eine Twitter-Bekanntschaft. Und es hätte nicht besser passen können.
Während meiner achtmonatigen Weltreise war der Facebook-Stream der “ambient information flow”, der mich mit Informationen aus meinem Bekanntenkreis in der Heimat in Verbindung hielt. Und schon während der Reise und auch seitdem sind viele neue verstreute wunderbare Bekannt- und Freundschaften hinzugekommen. Über den Facebook-Stream behalte ich im Augenwinkel, was sich bei ihnen tut.
Was ist der Unterschied zu einer Pflege von solchen Bekannt- und Freundschaften via Briefen, Telefon oder (gerade auch) E-Mail? Ich denke mit “klassischer” Kommunikation wären diese Verbindungen längst versandet. Weil wir dabei immer davon ausgehen, dass wir eine Antwort bekommen wollen. Irgendwann wird das aber fad. Mir geht es gut, wie geht es dir? Irgendwann höre ich dann vielleicht auf und schreibe nicht mehr zurück oder rufe nicht mehr an. Oder mir wird nicht mehr zurückgeschrieben.
Bei einem Lifestream ist das anders. Aber man muss das auch erst lernen. Am Anfang erwartet man sich natürlich, dass man auf jeden Kommentar fünf Antworten und jede Menge ‘Likes’ bekommt. Darum geht es aber gar nicht. Vielmehr ist es so: Solange mir jemand nicht die Facebookfreundschaft kündigt kann ich davon ausgehen, dass meine Postings gelesen werden. Ich lese ja auch andere, reagier’ aber nur auf einen Bruchteil davon mit einem Kommentar o.ä.
Das wesentliche ist, dass man sich gegenseitig in gewissem Maße etwas “erzählt” (Posting, Link, Video etc.) und auf dem Laufenden bleibt. Und das mit vielen Menschen, die unterschiedlich zu einem (und diese wieder untereinander) in Beziehung stehen. Aber der “Strom reißt nicht ab”, man verliert den Kontakt nicht, man verliert sich nicht aus den Augen.
Ich sehe das so: Es gibt das Formelle, so was wie den “gezwungenen” Anlass, da braucht’s ein Protokoll und alles streng nach Vorschrift und wehe es tanzt wer aus der Reihe (und wehe die Deutschlehrerin hat bei der Schularbeit bei der Erörterung nicht eindeutig Anfang, Mittelteil und Schluß erkennen können!). Dann gibt’s das Informelle, also das “Ungezwungene”. Aber auch das ist noch mit bestimmten Erwartungen verbunden (auch wenn’s informell ist, gibt es da doch zum Beispiel gewisse soziale Normen. Sei’s, dass man bei einer Vernissage nicht allein rumstehen will oder nicht der einzige sein will der Apfelsaft statt Bier bestellt oder dass jeder Hallo und Servus sagt). Tja und dann gibt es da jetzt noch eine weitere Ebene, für die mir noch kein g’scheites deutsches Wort eingefallen ist, nämlich das noch weniger Informelle, oder das Superinformelle vielleicht. Genau diese Ebene ist Social Media nämlich. Da gibt’s keinen Anfang und Ende, kein Hallo und Auf Wiederschaun, die Leute kommen und gehen einfach, wie es ihnen passt! Da klickt jemand auf einen Link, liest hier vielleicht dieses Blog-Posting und ist vielleicht schon wieder weg und sagt nicht mal Danke. Ja darf denn das überhaupt sein? Und ob!!
(Bevor ich jetzt zu weit abschweife, darf sich der geneigte Leser noch überlegen, an welchem Punkt zwischen Formellem und Superinformellem sich derzeit die klassischen Verlags- und Medienhäuser befinden … und dann könnte der geneigte Leser sich noch eine Medientheorie der sozialen Medien zurechtbiegen, die das Superinformelle als Grundlage hat … eine Supertheorie wäre das! Ja, vielleicht dazu später einmal mehr …)
Aber zurück zu den Geschichten, wir waren bei den Weak Ties, wo man bösartig behaupten könnte, das sind Kontakte, wo man sich zu schade ist, dass man sie mal wieder anruft oder eine Mail schreibt und nur noch auf Facebook mitliest(bzw. stalket).
Wären da nicht diese Zeitpunkte, wo bestimmte Verbindungen, diese Weak Ties wieder stärker werden, weil man gerade an jemanden denkt oder weil zwei Menschen gerade in einem Moment wieder etwas eben “verbindet”. Das können ganz banale Sachen sein, aber man freut sich natürlich trotzdem! Wenn sich z.B. anbahnt, dass man sich nach längerem wieder mal trifft.
Das kann aber auch was ganz Bewegendes sein.
Wenn man z.B. auf Twitter eine seltsame Meldung über Neuseeland liest und so möglicherweise Stunden vor der ORF-Redaktion rausfindet, dass es am anderen Ende der Welt ein Erdbeben gegeben hat. Und dann bald liest, dass das Haus von Freunden zwar hin ist, aber sonst alles ok ist und es ihnen verhältnismäßig gut geht.
Da rückt für mich die Welt näher zusammen.
Übrigens seit den Römern weiß inzwischen jedes Kind, dass vor einem Erdbeben die ganzen Viecher das schon kommen sehen und durchdrehen und einen Höllenlärm machen. Was die Römer bzw. der Lateinlehrer nicht erzählt haben, ist, dass es dafür nach dem Erdbeben umso stiller ist. Kein Mucks. Erst nach einer Stunde oder länger regt sich wieder etwas und du hörst wieder die Zikaden balzen und Vögel zwitschern. Und erst da wird dir bewußt, dass dir wirklich nichts passiert ist und dir geht wieder das Herz auf. Hat mir zumindest eine neuseeländische Freundin auf Facebook erzählt.