Neulich in einem Gespräch mit dem Autor der Warschauer Tagebücher ein paar Geschichten aufgewärmt.
Wir erinnerten uns beide an den Film Zur Lage: Österreich in sechs Kapiteln. Der Film portraitiert auf eine eigene Art eine Reihe von “Aussenseitern” (einen Gruftie, eine Mechanikerin u.a.). Das Interessante dabei: Zuerst fühlt man mit den Personen mit, sie erzählen von ihrem persönlichen Schicksal. Doch im Laufe jedes Interviews kippt das Bild: Sobald das Gespräch in eine gewisse Richtung geht, lassen die Interviewten mitunter verstörende xenophobe Ressentiments zuerst nur durchblitzen, werden mit der Zeit aber eindeutiger und geben letztendlich einfach nur rassistische Statements ab.
Ich habe den Film bei seiner Premiere bei der Diagonale 2001 gesehen. Ich glaube damals erkannt zu haben, dass die interviewten “Schicksale” in eine Sprache umkippten, die sich wie eine Reihe von Kronen-Zeitung-Schlagzeilen anhörte, sobald das Gespräch zu Themen wechselte, die die Interviewten nur medial und nicht persönlich berührten. Was mich verstörte: Die an den Film anschließende Publikumsdiskussion war unglaublich: Gesprächsteilnehmer warfen den Regisseuren vor, einen rassistischen Film gemacht zu haben!
Ähnliches kam mir in einer Filmkritik über die Dokumentation Erik(a) ([http://www.imdb.com/title/tt0443741]) unter. Der Film von Kurt Mayer portraitiert Erik Schinegger. Schinegger erzählt in dem Film, dass er nach seiner Operation nicht nur Mann sein wollte, sondern ein “richtiger” Mann (er kaufte sich ein starkes Auto u.ä.). Und jetzt kommt’s: In einer Filmkritik auf einer würde ich sagen feministischen Seite (leider nicht mehr online), warf die Autorin dem Regisseur Kurt Mayer vor, einen chauvinistischen Film gemacht zu haben.
Diese Interpretationen haben viel damit zu tun, wie wir es gewohnt sind, Bilder wahrzunehmen: Nämlich mit Legenden. Wir sind das so gewohnt, dass wir Bilder ohne Legende nicht mehr verstehen. Wenn wir Universum schauen und es schneit, erklärt uns Otto Clemens, dass Winter ist. Wenn Andi Goldberger 200m springt hören wir “Der geht weeeiiit!“. Und das geht noch weiter, wenn z.B. Bourdieu sagt: ”“Paradoxerweise wird das Fernsehen im Grunde vom Wort dominiert. Das Photo ist nichts ohne seine Legende, die sagt, was man zu lesen hat – legendum -, das heißt aber oft genug: Legenden, die Unsinn schwafeln.“” (PDF).
Die Premierenbesucher der Diagonale und die Filmkritikschreiberin haben die Filme selbst und die Regisseure für rassistisch und sexistisch gehalten, weil ihnen im selben Moment nicht Otto Clemens aus dem Off erklärt hat: “Der Interviewte hat Vorurteile, weil sein Weltbild von der österreichischen Medienlandschaft geprägt ist” oder “Erik Schinegger hat sich nach seiner Operation zum Mann macho-mäßig verhalten”.
Dabei hat jedes unbeschriftete Bild eine ihm eingeschriebene Legende: Den Kontext. Wenn ich weiß, wer die Regisseure von ”Zur Lage” sind und weiß wofür sie stehen und dann einen Film sehe, den sie 2001 nach der schwarz-blauen Wende zeigen, dann kann ich diesen Film als entsprechendes Statement verstehen und komme bestimmt nicht auf die Idee, dass diese Regisseure einer Gehirnwäsche unterzogen wurden und plötzlich Rassisten sind.
Wenn Christoph Schlingensief ein Transparent mit der Aufschrift “Ausländer raus!” aufhängt, macht ihn das nicht zu einem Rassisten. Und es hat auch nichts mit der “Freiheit der Kunst” zu tun, sondern es geht um den Kontext in dem das Statement “Ausländer raus!” und Christoph Schlingensief eingeschrieben sind. Ich kann mich dann vor den Kopf gestossen fühlen und mich fragen, warum ich für diese Kunst Steuern zahle, oder ich kann mich fragen, wer Christoph Schlingensief eigentlich ist und warum er das macht.